Playback Theater Berlin

Playback-Theater: Die Zuschauer sind die Regisseure

Von Susanne Stemmler

Zuschauer erzählen, Schauspieler stellen das Erzählte auf der Bühne dar. Das ist Playback-Theater. Alltägliche Begebenheiten, komische Momente, traurige Erinnerungen, tragische Geschichten — für den Stoff eines solchen Theaterabends kommt es einzig darauf an, was das Publikum auf dem Herzen hat und im großen Kreis preisgeben möchte. Die Zuschauer sind also im Grunde die Regisseure.

Moderatorin Ariane Ehinger vom Berliner Playback-Theater, das regelmäßig im „kleinen Salon“ in der Carmerstraße am Savignyplatz auftritt, versteht es, sehr einfühlsam die rund 50 Anwesenden zum Mitmachen zu bewegen. „Was kommt Ihnen in den Sinn? Was haben Sie heute erlebt?“ Ein Intro-Lied, gesungen vom sechsköpfigen Ensemble, hat zuvor das Konzept erklärt.

Schon sprudeln die Ideen: „Ich bin für zehn Euro nach Berlin geflogen“, erzählt eine Frau. „Im Flugzeug setzte sich ein dicker Mann neben mich. Obwohl noch viele Plätze frei waren, blieb er neben mir sitzen, volle 60 Minuten lang. Es war sehr eng und ich fühlte mich total unwohl. Nach der Landung konnte ich nicht schnell genug aussteigen und dachte mir: Zum Glück war wenigstens der Flug so billig.“

Und während die Moderatorin mit einigen Fragen noch etwas Zeit gewinnt, überlegen sich die Schauspieler, wie sich das Geschilderte darstellen lässt: Äußerst kunstvoll und witzig setzen nun die zwei Frauen und zwei Männer gestisch und mimisch die Gefühle der bedrängten Frau, aber auch die des bequemen Dicken mit Sitzfleisch. Oliver Schubbe macht zu der skurrilen Situation die passende Musik. Er beherrscht Keyboard, Geige und Rhythmus-Instrumente.

Vielleicht will sie einmal hoch hinaus

Ein Kind erzählt, dass es in seiner Freizeit gern zum Klettern geht. Die Schauspieler erklimmen pantomimisch die Lebensleiter des kleinen Mädchens, das vielleicht einmal hoch hinaus will. Auf der Bühne stehen drei Hocker und ein Kleiderständer mit bunten Tüchern. Das sind die einzigen Requisiten der ganz in Schwarz gekleideten Darsteller. Der Abend beginnt mit eher heiteren Beiträgen, die von den Schauspielern sowohl humorvoll als auch tiefsinnig aufgegriffen werden.

Doch im Laufe des Programms wird es immer ernster. Eine Frau berichtet von ihrer Begegnung mit einem alten Freund in Israel. Eine andere Zuschauerin, die einmal in Israel lebte, schildert die Situation auf einem Spielplatz, als sie eine ehemalige KZ-Insassin erkannte, die mit ihr Deutsch sprechen wollte. Für die Playback-Truppe sind diese beiden Geschichten eine Herausforderung: Es gilt Schuld, Offenherzigkeit, Unsicherheit, Verletzbarkeit und Versöhnung darzustellen.

Eine in Wien geborene Frau schwarzafrikanischer Herkunft erzählt schließlich davon, wie schwierig es für sie seit jeher ist, auf die Frage: „Wo kommst du her?“ zu antworten. Stets befinde sie sich aufgrund ihrer Hautfarbe in einer Art Erklärungsnotstand. Die Schauspieler beeindrucken das Publikum daraufhin mit folgender Performance: Jürgen Schoo stellt sich auf zwei Hocker, die beängstigend wackeln. Lotta Lundberg, Helga Schneider-Schelte und Götz Liefert versuchen, den offensichtlich zwischen zwei Kulturen hin und her gerissenen Kollegen auf sicheren Boden zu holen. Sie reichen ihm die Hände und sagen ihm damit, dass er stolz sein kann auf seine zwei Identitäten. Sie tanzen mit ihm. Dazu spielt Oliver Schubbe afrikanische Rhythmen, die sich mit Walzertakten abwechseln: ein wunderbares Bild.

Nach gut zwei Stunden ist der „offizielle“ Playback-Abend beendet. Nun besteht für alle noch Gelegenheit, das Erlebte bei einem Glas Wein zu diskutieren. Es gibt viele Anknüpfungspunkte und schon bald entstehen intensive Gespräche zwischen Zuschauern und Schauspielern. Es entwickele sich kein Abend wie der andere, erklärt Helga Schneider-Schelte.

Es könne auch traurig beginnen und heiter enden. Doch was tun, wenn sich niemand zu Wort meldet? Das komme nicht vor, wissen die Darsteller. Dazu ist ja gerade die Moderatorin wichtig, die eine Verbindung zwischen den „Regisseuren“ und dem Ensemble herstellt und auch die Form bestimmt, in der gespielt wird: Fluid Sculpture (eine bewegte Skulptur), Pairs (Darstellung von Gegensätzen) oder Scenes (längere Spielszenen) lauten die Stichworte.

Die Mitglieder des Berliner Playback-Theaters, die im „wirklichen Leben“ größtenteils therapeutisch arbeiten, treten seit 1998 gemeinsam auf und zwar nicht nur bei den öffentlichen Spielabenden. Die Truppe wird auch von Unternehmen eingeladen, um etwa Probleme in Betrieben aufzuarbeiten. Auch kommt sie auf Bestellung zu festlichen Anlässen, zu Tagungen oder Seminaren. Ja sogar in Gerichtssälen des Landgerichts Bremen haben die Darsteller anlässlich eines Playback-Theater-Festivals schon gespielt.

Anfang der 70er Jahre wurde die Form des Playback Theaters in den USA von dem Psychodramatiker Jonathan Fox aus der Taufe gehoben. Fox wollte modernes Improvisationstheater mit alten Formen mündlichen Erzähltheaters verbinden. Inzwischen gibt es weltweit rund 400 Playback- Gruppen, mehr als ein Dutzend in Deutschland. Lotta Lundberg, von Beruf Schriftstellerin, beschreibt die Fähigkeiten, die man beim Playback- Theater benötigt, folgendermaßen: „Das wichtigste ist, Erfahrung zu haben und das Vermögen, die ganze Welt zu beschreiben, das Private ins Allgemeine zu setzen. Man braucht aber auch Demut, Disziplin, Bildung und Menschenliebe.“

www.playback-theater-berlin.de

Quelle: Nürnberger Zeitung vom 6.4.2006